project.worx #1                             SICHTBARE MUSIK Ein Musiktheater-Projekt von Studierenden der Universität Kassel

Theatralisierung der Musik - Sichtbare Musik

Projektarbeit am Institut für Musik der Uni Kassel

Dozent: Volker Schindel, Musikalisch-Szenische Projektarbeit


„In der Musik der letzten Jahre wuchs allerlei, lustig anzusehen. So was muß man denn auch gesehen haben, sonst versteht man die Musik nicht. (…) Jedenfalls ist der Hörer vielfach nicht imstande, nur akustisch die Erzeugung der Musik zu bestimmen. Dem hilft das Zuschauen“ (Schnebel : 311 f.).


Die Mitte des 20. Jahrhunderts von John Cage angestoßene und von Mauricio Kagel und Dieter Schnebel fortgeführte Entwicklung einer „Theatralisierung der Musik“ stand im Zentrum unserer Projektarbeit.

Diese bestand aus drei Teilen; einmal aus einem Seminar in „Angewandter Musikwissenschaft“, der Projektplanung sowie der Projektdurchführung.¬

Wir haben uns intensiv mit ausgewählten Komponisten, dem Aspekt des szenischen Moments des Musizierens und der theatralen Qualität von Musik – entstehend durch das Zusammenspiel von Optischem und Akustischem – auseinandergesetzt.

Aus dieser intensiven Beschäftigung mit der für uns doch sehr neuen, aber zugleich auch spannenden Materie heraus haben wir uns schließlich an die Arbeit gemacht, ein Projekt daraus zu formen; ein Projekt, dass sich nicht nur hören, sondern auch hat sehen lassen können: Am 14. Juni haben wir unseren gemeinsam entwickelten szenischen Konzertabend im Konzertsaal der Uni Kassel präsentiert. Wir haben ein thematisches Programm entworfen, indem wir sowohl einzelne Kompositionen ausgewählt haben, gleichzeitig aber auch eigene Interpretationen herausgearbeitet und ganz neue, eigene Ideen erprobt haben.


Das bloße Hören von Musik reicht nicht mehr aus. Die Sichtbarkeit wird immer mehr explizit mitkomponiert, was automatisch auch zu der „Theatralisierung in der Musik“ führt. Die eingeschlagene Richtung zum Theater in der Musik begann um 1960; die musikalische Pop-Art brach aus. Aus einmaligen Anfängen, wie beispielsweise von Nam June Paik komponierte widersprüchliche akustisch-optische Prozesse, entwickelte sich sogar eine Bewegung: FLUXUS. Das Stück „Symphony Nr.3“ von George Brecht, einem späteren Mitglied dieser Fluxusbewegung, haben wir in dem Konzert aufgeführt.

Zunächst scheint das Optische in der Musik ganz plausibel, braucht man diese Komponente ganz einfach zur Verdeutlichung und Untermauerung bestimmter musikalischer Aktionen und Parameter:

Das Schauen schafft dem Hörer Perspektive – zur Zukunft – und lässt Zusammenhänge erkennen“ (Schnebel: 313).

Schnebel geht sogar noch einen Schritt weiter und lässt anmerken, dass man durch ein aufmerksames, optisches Verfolgen musikalischer Darbietungen sogar manches für sich entdeckt, was man vielleicht nicht bloß gehört hätte. Gerade bei Neuer Musik kann es durchaus hilfreich sein, „Musikalischem auf die Spur zu kommen“, „sich durchzufinden“, „Verläufe zu verfolgen“ und „Gehörtes richtig zu beziehen“ (ebd.:314).

„In Aktionen (...) wird das akustische Resultat zu einem Partiellen, bestenfalls zum Ziel, und der Rest ist – sichtbar“ (ebd.: 315).



Kompositorische Möglichkeiten:


Räumlich entfaltete Musik – Musik im Raum. Seit den 1950er Jahren gewinnt die räumlich gestaltete Komponente in der Musik immer mehr an Bedeutung. Einzelne Klangquellen werden nun zunehmend im Aufführungsraum verteilt.

Musik tritt in Aktion – Musik wird zum Theater. Das Komponieren bringt an Stelle der Zusammenhänge der Töne, Klänge und Geräusche immer mehr den eigentlichen Aspekt der konkreten Musikerzeugung in den Vordergrund.

Aktionen werden gestaltet, auskomponiert und so schließlich zu einer gemeinsamen Handlung. Schon allein dies führt dazu, dass es in solchen „Aktionskompositionen“ unabdingbar ist, die Verhältnisse der einzelnen Aktionen beziehungsweise der verschiedenen Akteure zueinander zu bestimmen, was in seiner Ausführung Sichtbares notwendig macht. Cage gab den Anstoß zu dieser Entwicklung in der Neuen Musik (vgl. auch „Theatre Piece“ für 1-8 Akteure).

„Theater meint die Inanspruchnahme aller Sinne. Aber die Sinne, die wir in erster Linie gebrauchen, sind Sehen und Hören. Theater unterscheidet sich von Musik, weil es das Sehen durch das Spiel mit dem Hören koppelt“. (John Cage)

Das Musikalische Spiel wird immer freier und ausgefallener. Dabei können die Spieler auch ihre Positionen innerhalb des bespielten Raumes wechseln. Im Kontext unseres Projekts haben wir uns intensiv mit dem Stück „Theatre Piece“ auseinandergesetzt und schließlich eine 15-minütige Fassung erarbeitet und aufgeführt.

Sichtbare Musik spiegelt sich im „pointiert gestischen Spiel (wider), was zu szenischer Anlage und zur Theatralisierung der Aktionen führt“ und somit dem Theater – mit all seinen Zwischenformen - innerhalb der Musik einen eigenen Stellenwert einräumt (Schnebel :332).

Sichtbare Musik – Der musikalisch gestaltete Film. Hierzu zählen Darstellungen beziehungsweise Verfilmungen von musikalischen Theaterstücken (Zum Beispiel „Antithèse“ (1965) und „Match“ (1966) von Kagel). Der Film „Ludwig Van“ (Mauricio Kagel), aus dem wir die Szene „Musikzimmer“ im Rahmen unseres Konzertabend gezeigt haben, vereint sowohl Kompositionen selbständiger sichtbarer, sowie auch hörbarer Verläufe: Er ist demnach „Film mit Musik wie Musik mit Film“ (Schnebel:328).

Sichtbare Musik erscheint in ihrer graphisch symbolisierten Aufzeichnung. Musikalische Grafiken verleiten zu einer eigenen, befreiten Interpretation der „Sichtbaren Musik“. Beispielhaft für eine solche Art der sichtbaren Musik ist das Stück „KI-NO“ (Nachtmusik für Projektoren und Hörer 1963-1967) von Dieter Schnebel, aus dem ebenfalls ein Teil in unsere Aufführung seinen Platz gefunden hat. Die Lektüre von Notentexten und die damit entstehende Imagination der Musik kann hierbei fast den gleichen Genuss hervorrufen – wenn nicht sogar noch einen größeren (so Schnebel) – wie das Hören selbst. In einer Situation der sStille wurden Kompositionsausschnitte aus „KI-NO / MO-NO“ an eine Leinwand projiziert.

Aus diesen vielfältigen und doch recht unterschiedlichen musikalischen Auffassungen und Erscheinungsformen „entsteht Sichtbare Musik in der Auskomposition der musikalischen Extras und Nebensächlichkeiten. Sie bewirkt eine Art Selbstauflösung der Musik – vielleicht geheimes Ziel ihrer visiblen Art“ (Schnebel :332).


Literaturgrundlage:

Dieter Schnebel: Sichtbare Musik (1966/68), in: Denkbare Musik. Schriften 1952-1972, hrsg. von Hans Rudolf Zeller, Köln 1972, S. 310-335